Über 5 Sinne hinaus: Non-Duales Bewusstsein

Es gibt einen Bewusstseinszustand, der über alle Konzepte, Geschichten, Geschmacksrichtungen und Untertöne hinausgeht. Eine nicht duale, nichtpolare Position – einen reinen Zustand des Seins. Vor kurzem erinnerte ich mich an vier besondere Erfahrungen, bei denen meine Sinneswahrnehmung in eine Art Nullpunktfeld trat. Inmitten von „weltlichen Marktplätzen“ trat ich in Trance und war dabei hellwach und klar.

Diese Episoden bestätigten – zusammen mit dem, was ich im Laufe der Jahre erlebte – dass das „Universum“ (oder Bewusstsein) keinen Standpunkt hat, keine Bewertungen, keine Vorlieben. Meinungen, Überzeugungen, Bevorzugungen und Abneigungen sind wirklich nur Eigenschaften des menschlichen Lebens auf diesem Planeten. Menschen bewerten und beurteilen, aber die Existenz an sich hat nichts dergleichen!

Vor ein paar Jahren fragte ich einen bekannten indischen Guru während einer Satsang-Sitzung nach seiner Perspektive auf meine unten beschriebenen „Keine Temperatur / kein Geruch“ – Erlebnisse, ob er irgendeinen Vorteil darin sehen könne. Obwohl er meinen Zustand von Turīya bestätigte, bestritt er jegliche Vorteile. Ich fand das interessant, weil die Erfahrungen für mich wirklich von enormem, transformativem Wert waren. 

: Dubai 2008 – Lärm hat keine Geräusche :

Es war Donnerstagabend, ich kam von meiner wöchentlichen Meditationsgruppe im alten Teil der Stadt (Bur Dubai) und stoppte auf dem Weg nach Hause (Dubai Marina) an einem Supermarkt in einer der Shoppings Malls. Viele Berufstätige waren auf dem Heimweg und hatten offensichtlich das Gleiche vor. So schoben sich Trauben von Menschen durch die Gänge des Ladens. Ein riesiger Supermarkt, und neben Büroleuten waren auch Paare und Familien mit Kindern da. Es war ein buntes Gewirr von Leuten untermalt von Hintergrundmusik und verschiedensten Lautsprecherdurchsagen. Zweifelsfrei gab es hier einen signifikanten Lärmpegel. Und der Rummel waberte auch um mich als ich an der Kasse stand, mit noch mindestens zehn anderen Parteien vor mir. Ich war in mich gekehrt und wollte nur nach Hause. Da plötzlich machte etwas Klick in mir und ich war innerlich in einer anderen Dimension. Wohl noch sehend was um mich herum geschah, und irgendwie auch hörend, aber dennoch war innerhalb einer Millisekunde der gesamte Lärm ohne Geräusch! Ich stand mit dem Einkaufswagen in der Schlange vor der Kasse und schaute und lauschte, schaute und lauschte, aber konnte nichts hören. In mir war absolute Stille. So stellt man sich vielleicht das Auge eines Wirbelsturms vor. Wie ein Vakuum. Ohne Schreck, ohne Freude, ohne Bewertung. Reines, ruhendes Sein. Mich hätte in diesem Zustand wirklich nichts aus der Ruhe bringen können. Ich war im Leben und doch ausserhalb von allem. Es war ein köstlich friedliches und lärmfreies Erleben, das mich noch durch den Zahlvorgang, den Verkehr und nach Hause trug. Ich war einfach nur. Nicht mehr, nicht weniger. 

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Dubai 

: Puttaparthi 2009 – Kälte hat keine Temperatur :

Sathya Sai Baba lebte noch. Er schien sehr fragil und ich wollte ihm unbedingt noch begegnen bevor er seinen Körper verlassen würde. So landete ich im Oktober 2009 in dem kleinen Örtchen Puttaparthi nördlich von Bangalore. Mein Plan war ursprünglich, ausserhalb des Ashrams zu wohnen, „komfortabel“ im Apartment eines entfernten Bekannten, was sich aber als unpassend für mich entpuppte. So zog ich in ein dem Ashram gegenüberliegendes Hotel. Wunderbar, dachte ich. Kurz nach meinen ersten Besuchen im Ashram begegnete mir immer wieder eine bestimmte Inderin, Ärztin aus Canada, mit der ich mich auf Anhieb gut verstand. Eines Abends nach dem Dinner im Ashram fragte sie mich, warum ich nicht das Hotel verlasse und in den Ashram ziehe. Sie erklärte, dass ich dann die Gelegenheit hätte, in einen geschützten, tieferen Prozess einzusteigen, da ich nicht ständig zwischen Aussen- und Ashramwelt hin – und herwechseln müsste. Mit gefiel die Atmosphäre im Ashram sehr und entschied dann ja, warum eigentlich nicht. Am nächsten Morgen checkte ich im Hotel aus. Und nach meiner Registrierung im Ashram Gästehaus wurde mir „mein“ Zimmer zugewiesen: 8-Bett Zimmer mit Gemeinschaftsbad und fliessend Kaltwasser. Schluck. Ein Zimmer mit so vielen zu teilen ist eine Sache, auf die ich nicht erpicht war, aber kaltes Wasser zwei Wochen lang, muss echt nicht sein! Meine Stimmung war gedämpft. Wie sich schnell zeigte bedeutete kaltes Wasser tatsächlich EISkaltes Wasser. Und zwar von früh morgens bis abends, zum Duschen, Haarewaschen und Zähneputzen. Nun gut. Ich nahm mir vor, das Beste daraus zu machen. Und dann geschah etwas ganz Unerwartetes. An einem der folgenden Morgende unter der Dusche, schaltete sich plötzlich und aus heiterem Himmel etwas in mir um. Meine Wahrnehmung war mit einem Mal total intensiv, gegenwärtig und gedankenfrei. Und ich nahm das eigentlich kalte Duschwasser nur als Wasser wahr, als etwas Nasses. Ich erinnere mich noch gut, wie ich unter dem Duschstrahl stand und es kaum fassen konnte, dass einerseits mein Temperaturempfinden ausgeschaltet war und ich andererseits wach und bewusst war. Meine Beobachtung war: kaltes Wasser ist einfach nur Wasser. Reines Wasser. Es gab für mich nur die Textur, also das Flüssige und Nasse, nicht mehr die Temperatur. Vom Verstand war das nicht begreifbar, aber als Bewusstseinserleben total real. Ich war wie in einem Nullpunktfeld zwischen oder über den Empfindungen warm und kalt. Dieser Seinszustand hielt mich den Rest des Tages über im Bann. Bei der nächsten Dusche war das Wasser dann allerdings wieder kalt.

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Prasanthi Nilayam Ashram, Puttaparthi

: Tiruvannamalai 2010 – Gestank hat keinen Geruch :

Nach einer Tour im Himalayagebiet Nordindiens zog es mich südlich nach Tiruvannamalai im Bundesstaat Tamil Nadu. Ich folgte meiner Intuition und unter den wundervollen Erlebnissen dort, sticht eine Begebenheit hervor. Nach der Pradakshina (circumbulation) um Mount Arunachala, diversen Touren mit der einzigen Bicycle Riksha im Ort zu Tempeln (bspw. Adi Annamalai, dem ältesten Tempel dort und Arunachala Tempel) und Ashrams (Sri Seshadri Swamigal und Ramana Maharshi Samadhi), wollte ich unbedingt noch den Berg Arunachala hochklettern und im Virupaksha Cave meditieren. Das ist die Höhle, in der u.a. Ramana Maharshi viele Jahre verbracht hat. Abgesehen von dem fast atemberaubenden Trek und den atemberaubenden Aussichten von den Plateaus des Mount Arunachal, gab es ein weiteres atemberaubendes Erlebnis: als ich mich in die Virupaksha Höhle setzte, nahm ich einen üblen, fast ekelhaften, Geruch wahr. Und der schränkte meinen natürlichen, tiefen Atemfluss erheblich ein. Mir war nicht klar was den Gestank verursachte, aber eins schien sicher: er war tief im Boden und im Gemäuer verankert. Ich war enttäuscht und dachte „War mein Weg hierher umsonst? Komm ich etwa nicht zum Meditieren, weil der Geruch mich ablenkt und fast ersticken lässt? Was mach ich jetzt?“ Dazu meine Tagebucheintragung:
„Ich sass hinten, in einer Ecke der kleinen Höhle, entfernt vom Eingang. Während ich begann, mich auf die Atmosphäre einzulassen, trat ich innerlich in einen Raum, der mir erlaubte, sowohl Feuer und Erdiges (Erdung) als auch ganz frischen Luftraum (Äther) zu spüren. Ich kann es nicht besser beschreiben, ich fühlte die Hitze und das Zentrum der Existenz als etwas sehr Dichtes und Fokussiertes, aber gleichzeitig spürte ich Reinheit, Freiheit und Frische wie von hohen Berggipfeln und darüber hinaus. Eine ziemliche Dehnung! Es fühlte sich dennoch leicht, heiter, gelassen und auch reif (erwachsen?) an. Und inmitten all der Gerüche der Höhle nahm ich plötzlich eine Art von nicht-riechender Reinheit wahr. Eine pure Essenz, die wie ein Kern (Molekül?) im Inneren aller Gerüche präsent war. Wie reinste Luft oder Prana. Ein frisches Energie-Extrakt, das der Gerüche zu trotzen schien. Ich staunte innerlich, war aufmerksam, ergriffen, ohne mich zu rühren.“
Beseelt und dankbar verliess ich nach einiger Zeit diesen besonderen Ort.

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Virupaksha Cave, Mount Arunachala

: Mumbai 2010 – Physischer Körper hat keine Materie :

Es geschah während einer Veranstaltung mit einem indischen Meister. Ich gehörte mit ein paar anderen zu seinem Team von Initiierten, die für jeden Gast, der zur Meditation kam, eine Energietransmission ermöglichten. So auch an diesem Abend in Mumbai: Nach Erhalt des Segens, löste „ mein Ich“ sich auf. So kitschig es klingen mag, göttliche Essenz schmolz in meine Zellen hinein. Spontan flossen Tränen und mein Herz schlug heftig. Ich wurde aber sofort von feinsten Kräften umhüllt und beruhigt. Ich fühlte mein Sein so weit ausgedehnt, als wäre ich für das gesamte Universum geöffnet worden. Ich hätte das ganze Universum umarmen können, so viel Gelassenheit und Liebe durchströmten mich. In diesem Zustand begann ich mich zwischen den Meditierenden zu bewegen. Dabei erlebte ich absolute Zeitlosigkeit und unendliche Stille. Und doch auch kraftvolle Energiewellen und kristallklares Bewusstsein. Meine erweiterte Wahrnehmung liess mich dabei auch erkennen, welche Gäste eine empfänglichere Verfassung hatten und welche nicht. Es war ein herrlicher Zustand, wenn auch rational nicht verstehbar oder in ein bekanntes Schema sortierbar. Und ich war noch auf diesem Energiehoch, quasi im Licht schwimmend, als ich nach Meditation und Satsang zum Dinner-Buffet ging. Ich erhielt einen Teller mit Köstlichkeiten und gerade als ich einen Happen in den Mund nehmen wollte, schoss ein Blitz auf mich ein. „Was mache ich? Warum füttere ich diesen Körper? Diese Masse an Energie. Was ist der Sinn des Essens, warum geb ich Essen in diesen Körper? Es gibt keine Form. Da ist niemand! Es gibt keinen Körper. Es gibt keine Richtung. Es gibt nur unbegrenzten Raum!“ Ich hatte den Eindruck, dass das Essen leicht auf den Boden hätte fallen können, wenn ich es in meinen Mund stecken würde. Was mir durch den Kopf schoss: „Trotzdem ist ja etwas hier. Aber es scheint nur eine Art Wolke, vielleicht ein Konglomerat dichterer Energie, von dem das Ich denkt, darin sei es lokalisiert. Warum essen? Warum sprechen? Und dennoch, etwas in dieser Wolke atmet, schaut, lacht, redet. Was ist das, was existiert?“ fragte ich nach innen und bekam gleichzeitig die Antwort: „Reine Präsenz und Stille. Präsenz, die lacht, schaut, liebt.“

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Zeitlose Stille und unbegrenztes Bewusstsein

In reinem Bewusstsein sind keine Beurteilungen, keine Erwartungen, keine Ängste und keine Unmöglichkeiten. Da ist kein Geräusch, keine Temperatur, kein Geruch, keine Materie. Es geht über die 5-Sinnewahrnehmung, menschliche Logik und physische Mechanik hinaus. Und durch seine Verkörperung in uns in Geistesgegenwärtigkeit können Einsichten und inspirierende Impulse der kosmischen Schöpferkräfte durch uns strömen.

::: Anhang :::

Einige Zeit nach den obigen Erlebnissen und des Gurus (unbefriedigender) Antwort, kam ich zufällig auf das Folgende:

Turiya is the state of liberation, where according to the Advaita school, one experiences the infinite (ananta) and non-different (advaita/abheda), that is free from the dualistic experience, the state in which ajativada, non-origination, is apprehended.
– Chandradhar Sharma

Turiya is all-seeing, ever and always. 
–Gauḍapāda

Turiya is unaware of duality. Not conditioned by cause and effect. Therefore, false perceptions or misperceptions of reality that result from nonapprehension are not possible in Turiya. Turiya is like the sun, ever luminous: it consists of light and is opposed to the darkness that characterises prajna. Turiya is the effulgent and all-pervasive source of objects. It is beyond ignorance. It is at once sarvadrk, the seer of everything that there is, as well as teh witness of everything that exists. It exists in all beings, and is called teh seer of everything. Turiya is the nondual witness and is by nature pure consciousness itself. There is not even the potentiality of duality, and no darkness. There is nothing besides Turiya. Therefore is is never associated with causal conditions that may result from non apprehension of reality. Accordingly, nonapprehension as well as misapprehension of reality are not possible in Turiya.
– Bina Gupta in The Disinterested Witness: A Fragment of Advaita Vedānta Phenomenology

Those who have experienced the Turiya stage of self-consciousness have reached the pure awareness of their own non-dual self as one with everyone and everything, for them the knowledge, the knower, the known becomes one, they are the Jivanmukta.
– Michael Comans in The Method of Early Advaita Vedanta: A Study of Gaudapada, Sankara, Suresvara and Padmapada

Ramana Maharshi called this awakened state of affairs turiyatita – that which beyond the fourth state, beyond the witness. The traditional view is that Turiya is the non-dual, unconditioned consciousness (e.g. see Guadapada). Sri Ramana refers to it as pure consciousness.

Turiya means that which is the fourth. The experiencers (jIva-s) of the three states of waking, dreaming and deep sleep, known as vishva, taijasa and praj~nA, who wander successively in these three states, are not the Self. It is with the object of making this clear, namely that the Self is that which is different from them and which is the witness of these states, that it is called the fourth (turIya). When this is known, the three experiencers disappear and the idea that the Self is a witness, that it is the fourth, also disappears. That is why the Self is described as beyond the fourth (turyatita).
– Ramana Maharshi, Spiritual Instruction no. 8

One of the earliest mentions of Turiya, in the Hindu scriptures, occurs in verse 5.14.3 of the Brihadaranyaka Upanishad. The idea is also discussed in other early Upanishads. The insight during meditation of Turiya is also known as amātra, the ‚immeasurable‘ or ‚measureless‘ in the Mandukya Upanishad, being synonymous to samādhi in Yoga terminology.

Mandukya Karika, verse 1.29:

अमात्रो’नन्तमात्रश्च द्वैतस्योपशमः शिवः ।
ओंकारो विदितो येन स मुनिर्नेतरो जनः ॥ २९ ॥

amātro’nantamātraśca dvaitasyopaśamaḥ śivaḥ |
oṃkāro vidito yena sa munirnetaro janaḥ || 29 ||

One who has known Aum which is soundless and of infinite sounds and which is ever-peaceful on account of negation of duality is the (real) sage and none other.

Shankara Bhashyam (Adi Sankaracharya’s commentary):
Amātra 1 or soundless Aum signifies Turīya. Mātrā means “measure”; that which has infinite measure or magnitude is called Anantamātra. That is to say, it is not possible to determine its extension or measure by pointing to this or that. It is ever-peaceful on account of its being the negation of all duality. He who knows Aum, as explained above, is the (real) sage because he has realised the nature of the Supreme Reality. No2 one else, though he may be an expert in the knowledge of the Scriptures, is a sage.

Swami Anandagiri (glossary):
1 Amātra—It is because there is no sound or part beyond the AUM, i.e., the soundless and partless quarter (Amātra) is not indicated by any letter.
2 No, etc.—Book-learning without the direct realisation of Truth is of no value.

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